Der Rat hat in seiner gestrigen Sitzung diese Erklärung verabschiedet:
Gemeinsame Erklärung des Rates und des Oberbürgermeisters der Stadt Aachen zum 75. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1945
Am 8. Mai 2020 gedenken wir des 75. Jahrestages des
Kriegsendes in Europa. Nach sechs Jahren Krieg und mehr als 60 Millionen Toten
beendeten die Alliierten Streitkräfte die Terrorherrschaft der
Nationalsozialisten, den Massenmord an den europäischen Juden sowie die
Verfolgung und Ermordung zahlreicher anderer Opfer, die das verbrecherische
deutsche Regime über fast ganz Europa ausgedehnt hatte.
Ebenso wie der 21. Oktober 1944, als die Alliierten
Streitkräfte Aachen eingenommen hatten, ist der 8. Mai ein Tag der Befreiung
von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft. Für uns besteht an diesem Tag Anlass, uns zu erinnern und uns
ins Gedächtnis zu rufen, wie folgenreich Gefährdungen von Menschen und
Gesellschaften werden können, wenn Freiheit, Pluralität, Toleranz, Respekt vor
Andersdenkenden und schließlich Mitmenschlichkeit missachtet werden.
Für die meisten Menschen in Europa war der 8. Mai 1945
ein Tag der Hoffnung und der Zuversicht. Das deutsche Volk hat mit dem
Grundgesetz die Konsequenzen aus den dunklen Erfahrungen der eigenen Geschichte
gezogen und sich zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten
sowie zum Frieden und zur Gerechtigkeit in der Welt als der Grundlage jeder
menschlichen Gemeinschaft bekannt. Viele der damaligen Hoffnungen erfüllen sich
heute in einem zusammenwachsenden und friedlichen Europa und in einem
demokratischen und vereinten Deutschland.
Aachen, die Stadt, deren kommunale Grenzen zum Teil auch
die Grenzen zu zwei anderen Ländern bilden, hat schon bald nach dem Kriegsende
mit den Nachbarn in Belgien und den Niederländen eine Tradition
grenzüberschreitender Zusammenarbeit begründet. Aus diesen Erfahrungen
erwuchsen viele Bestrebungen, den europäischen Einigungsgedanken zu fördern.
Dies trug dazu bei, dass Aachen sich zu einer weltoffenen und toleranten Stadt
entwickeln konnte, in der Menschen unterschiedlicher religiöser und
weltanschaulicher Bekenntnisse, verschiedener politischer Auffassungen,
unterschiedlicher Herkünfte und Kulturen zusammen leben.
Mit Bestürzung stellen wir aber gegenwärtig fest, dass auch
75 Jahre nach dem Kriegsende das politische Denken und Handeln, das einst in
die Katastrophe von Diktatur und Krieg führte, in unserer Gesellschaft nicht
überwunden ist. Der zunehmende Antisemitismus, wachsende Fremdenfeindlichkeit,
steigender Hass in sozialen Netzwerken gegen Minderheiten und Akte des
Alltagsrassismus gefährden unsere Demokratie und das zivilisierte Zusammenleben
ebenso wie die Versuche, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben, indem
völkisches Gedankengut und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in den
politischen Diskurs eingeführt wird. Rechtsextreme Kräfte versuchen, die
Geschichte umzudeuten und die Opfer des Nationalsozialismus zu verhöhnen. Das
bildet den Nährboden für rechtsterroristische Verbrechen wie die Morde der
NSU-Gruppierung, die Anschläge von Halle und Hanau sowie viele andere
Gewalttaten gegen Migranten und Flüchtlinge. Dies fordert die Entschlossenheit
aller Demokraten heraus.
Der Rat der Stadt Aachen bekräftigt sein Nein aller
demokratischen Kräfte gegen jedwede rechtsextreme Aktivität. Rechtsextreme sind
in Aachen unerwünscht. Nie wieder darf in unserer Stadt, nie wieder darf in
Deutschland Unfreiheit, Intoleranz, Rassismus, Fremdenhass und Antisemitismus
zugelassen werden. Wir bekennen uns zur Stärkung und Weiterentwicklung unserer
freiheitlichen Gesellschaft. Deshalb werden wir öffentlichen Aufmärschen und
Demonstrationen demokratiefeindlicher Parteien und Organisationen mit allen
rechtlich möglichen Mitteln entgegentreten.
Gemeinsam mit der Bürgerschaft unserer Stadt wollen wir
weiterhin die Lehren aus unserer Geschichte ziehen. Das heißt für uns, die
Erinnerung an das durch Diktatur und Krieg verursachte Leid aufrechtzuerhalten,
der Opfer zu gedenken, unsere Demokratie zu verteidigen und nicht nachzulassen
im Einsatz für eine menschlichere Zukunft.
Aachen, 4. Mai 2020